Gstanzl – Der Vierzeiler

Geschichte

Gstanzln bilden eine eigenständige Liedgattung.

Einer der frühesten Volksmusikforscher beschreibt sie unter anderem folgendermaßen: „…es steckt also keine Spur von Kunst in ihnen.
Zumeist wurden und werden sie von unbekannten Autoren geschrieben.

In einem wissenschaftlichen Textabsatz heißt es: „…in den theoretischen Auseinandersetzungen unter den Volksmusikforschern seit 1900 wurde das Gstanzl immer wieder als Beweis eines „echten Volksliedes“ angeführt (Aber: Was ist echt?). Die Sänger wiederum zählen die Gstanzl oft gar nicht zu den „Liedern“, sondern zu den „Gsangln“


Gesammelt ab dem 19. Jahrhundert tauchen sie erstmals in zahllosen Verboten und Erlässen der Obrigkeit auf. Diese ärgerte sich nämlich sehr bald über die aufrührerische Wirkung und den Spott der einfachen Gesänge.

Besondere Beachtung fanden die Gstanzln aber erst im 19. Jahrhundert, als die Bildungsschicht die Formen und „Werte der Volkskultur“ entdeckten. Besonders zu Zeit des Erzherzogs Johann und Kaiser Franz Josephs wurde das sogenannte „Almerische“ populär. Der Blockbau in der Architektur, Dirndlkleider und Janker in den Trachten, die einsame Gebirgsjagd, der Ländlertanz und eben das einzeilige, vierzeilige Liedchen.

Das Wort „Gstanzl“ leitet sich wahrscheinlich vom Italienischen Stanza = Strofe ab. Das G am Anfang ist ein typisch mundartlicher Zusatz, vgl. Gspiel, Gspusi, Gschlåder, Gstätten, Gschloss,…


Bezeichnungen

Es gibt keinen Gesamtnamen, aber sehr viele regionale Bezeichnungen. Am gebräuchlichsten ist vielleicht noch der Ausdruck „Schnaderhüpfl“. Er gilt auch in der Wissenschaft als Überbegriff.

Die „Schnitterhüpflein-These“ ist sprachgeschichtlich widerlegt. Nach dieser These stammt das Wort Schnaderhüpfl von „Schnitterhüpflein“ ab. In dieser Worterklärung glaubte man die frühere Verwendung als Tanzliedchen zur Heumahd zu erkennen. Richtig ist „Schnatterhüpflein“ als schriftsprachliche Übersetzung. Tschischka und Schottky schreiben 1818 „Schnatterhüpfel“ in ihrer Sammlung von Liedern aus der Umgebung von Wien.

Andere Bezeichnungen:

  • Oberösterreich: Gstanzl, Tanzl, Trutzliadl
  • Niederösterreich: Gsangl, Gsätzl, Sprüchl
  •  Bayern: Stückln, Schnaderhackn, Schnapperlied
  • Kärnten: Flausenliadle, Plepperliadle
  •  Salzburg: Stieglhupfa
  •  Schweiz: Lompestöckli, Satzlliedli, Lumpeliedli

Das Schnaderhüpfl ist – wie übrigens auch der Limmerick – eines der „barocken neuen Versmaße“, die um ca. 1600 entwickelt wurden. Das Schnaderhüpflversmaß kommt in halb Europa vor, am häufigsten im Liebeslied (z.B. im plattdeutschen Lied „Dat du min Leevsten bist“ oder in Kärntnerliedern) und eben im Gstanzl. Gstanzl unterscheiden sich, daß sie meist auf eine Pointe hin konzipiert sind.


Bedeutung:

Gstanzl erklingen spontan, ungekünstelt und grob.
Erscheinungsformen:

Sie schöpfen auch heute noch voll aus der Mundart.

Heute dienen sie vorrangig der Unterhaltung von feiernden Gesellschaften (Hochzeiten!) und den populär gewordenen Gstanzlsängertreffen (v.a. in Bayern, Salzburg und Oberösterreich). Dabei kommt auch die Kritik an herrschenden Verhältnissen und das gegenseitige Verspotten nicht zu kurz.

Die ehemalige Bedeutung als weit verbreitete Möglichkeit der Unterhaltung, Konfliktaustragung und Liebeswerbung, die besonders im oberösterreichischen Innviertel legendär ist, haben die Vierzeiler heute weit gehend verloren.

Dort waren bis in die 1970er Jahre die Bauernsöhne in sogenannten Zechen organisiert. Alle Aktivitäten wurden gemeinsam unternommen, ausgefeilte Regeln sorgten dafür, daß der Zusammenhalt gewahrt blieb, niemand dem Suff verfiel und die Suche nach Bräuten vereinfacht wurde. Das Aushängeschild jeder Zeche war ihr individuell entwickelter Innviertler Landler. Das ist ein oft sehr komplizierter Schreittanz, zu den die Tänzer Gstanzl singen.


Erscheinungsformen:

Der Vierzeiler

ist die klassische Gstanzlform.
Er besteht entweder aus vier Kurzzeilen (2 Reimpaaren):

Wie eins der ältesten Schnaderhüpfl zeigt, ein Totentanz aus einem Lied über den 30-jährigen Krieg:

Heut wetzt er das Messer,
es schneidt schon viel besser,
bald wird er drein schneiden,
wir müssens nur leiden.

Andererseits kann ein Vierzeiler aus zwei Langzeilen (1 Reimpaar) bestehen:

Landlerisch tånzn kånn net an iada,
kånns selber net guat, åber meine Briada.

Der Vierzeiler dauert – wie ein Landlergsätzl – genau acht Takte.
 

Der Achtzeiler

besteht aus acht Kurzzeilen oder vier Langzeilen.

Mia san vo Raab net weit,
mir kennan koa Traurigkeit
mir håm a muntas Bluat
dös net gern dahoam bleibm tuat
wånns wo a Tanzl gibt
dass uns koa Stiefi zwickt
då samma dabei
kreizlusti` ållweil

(aufgezeichnet von Martina Reiter im Rahmen ihrer Diplomarbeit „Der Innviertler Landler, seine Integration und methodische Anwendung im Musikunterricht“, Wien im April 1995.)

 Längere Geschichten können sogar 12- oder 16-zeilig sein:

Ein besonders langes Tanzl stammt von der legendären Gruppe Geschwister Simböck aus Braunau am Inn:

Herts Leit jå
es brauchts net moan
daß mir san vo då dahoam
wo da Spåtz d`Häusa baut
da Esl bein Lo` ei`schaut 
Esl reit – Steffi`s Dirn
herts Leit jå
då håbts enk girrt
mir san vo da säwegn Gegnd
wo de schen Mentscher lebm, 
de oan trei liabm
wånns koan Vierten net kriagn.

ein schönes 12-zeiliges Tanzl singt die Familie Burgstaller aus dem Innviertel:

So lång uns dös braun Bier nu schmeckt
und s`Gödl a nu glöckt
bleibm ma heit a nu då
mir frågn nix danå
und mir frågn nix danå
mir han båld durt und båld då
bei da Seit` håmma d`Freind
und bei de Mentscha a Schneid.
Bei da Schneid, då håt`s uns niamåls gfäut
åba ållweil beim Göd
åba liaba zweng Göd
ålls wia koa Schneid auf da Wöd.

Der Dreizeiler:

ist eine Innviertler Spezialität. Er entsteht dadurch, daß die erste Zeile (die ersten zwei Takte) nicht gesungen werden. Die Sänger setzen erst im dritten Takt ein. Die erste Zeile wird der Fantasie der Zuhörer überlassen.

x
daß d` mi net mechst
hätt i dir koan Kas net kaft
kohlschwoazze Hex.

x
driwa gsunga 
und an Nåchboarn sei Kåtz
håt an Hund, an junga.


Jodler

Nach den einzelnen Strophen erklingen oft einfache Jodler, auch „Almer“, „Almerer“ (Innviertel), „Dudler“ (Wien, Schneeberggebiet) oder „Ludler“ (Salzkammergut) genannt. Das Beherrschen eines möglichst komplizierten Jodlers ist ein besonderes Aushängeschild der Sänger des Innviertler Landlers.


Themen:

Liebe:

Oft zwei- bis eindeutig! Werden auch „Säuhäuterne“ oder „Grobe“ genannt. Fakt ist, daß gerade diese Gstanzl die Zuhörer am meisten begeistern…

Mei Schåtz is a Maurer
mauert auffi in d`Heh
und mir toan hålt de Äugerl
vum Auffischaun weh.

S`Dirndl håt oane
wia a Einbrennschissl
wånn da rechte Bua kimmt
sågt`s: „geh Bua riahr a bissl“.

S`Dirndl hoaßt Lena
håt an Ståll volla Henna
und a Schlupfloch håts drån
daß da Håhn eine kånn.

Stänkereien, Aufforderung zum Kampf:

Auch Trutzgsangl genannt:

Buama wånn`s Raufn wollts
braucht`s es gråd sågn
`s Messer is gschliffm
und d`Fäust, de san glådn

Iazt håt oana gsunga
is eam da Rotz åba grunna
wånn er nu amoe kimmt
jå dånn schneiz ma eam gschwind.

Gegen Obrigkeit, Kirche:

Dabei die große Gruppe der „Pfarrergstanzl„:

Da Pfoarra vo Grinzing
der håt an kloan winzign
– an aufdrahtn Huat
åba stehn tuat er eam guat

Da Gusi håt den Broukal
den Grasser hätt da Schüssel gern
wer bleibt nu fürn Haider
– s` wird woe da Saddam Hussein werdn.

Heimat:

Innviertel Ross und Troad
Mühlviertel Flåchs und Gjoad
Hausruckviertel Obst und Schmålz
Traunviertel Sålz
(es werden die 4 Viertel von Oberösterreich beschrieben)

Brauchtum:

Zur Gsundheit vum Bräutigam
zur Gsundheit vo da Braut
und zur Gsundheit von der Brautjungfrau
weils goar so liab schaut.

Da Franzi håt gheirat
då samma recht froh
iaz hoff ma nu weida 
daß er s`Kindermåcha recht kånn.

Nonsense:

Da Bå(ch) is iwa d`Stråss auffigrunna
d`Fisch håm vo de Bam åwagsunga
d`Kia håm si Schwålbnester baut
då håm d`Leit gschaut.

Diese Liste ließe sich endlos weiterführern, es werden wohl abertausend Gstanzln in den Köpfen der Gstanzlsänger sein und mit jedem „Ansingen“ werden es mehr.

Andererseit werden es wieder weniger, weil eingige Pointen heute nicht mehr lustig sind, oder weil mancher alter Ausdruck, auf dem ein Reim gründet, heute nicht mehr verstanden wird:

Beispielsweise wurde von den Innviertlern führer gerne gesungen:

Vum Innviertel eina
läut a Glöckerl so hell
wånnst an Ausländer bist
derfst net kemma so schnell.

Mit „Ausländer“ waren dabei die Burschen aus dem „Landl“ (angrenzender Teil des Hausruckviertels), mit denen die Innviertler gegenseitige Spötteleien trieben, gemeint.

Heute unverständliche (bzw. schwerverständliche) Gstanzlbeispiele sind:

Schneidn ma vürschling, schneidn ma arschling,
wann ma Holz schneidn, kriagn ma Schwartling,
schneidn ma bierbuchsbama Ladn,
kriagn mar an Tånzbodn, an rar’n.

A Schneewal håt’s gschnibm,
håt ma ’s Ausgeh~ vatriebm,
håt ma ’s Fensterl vawaht,
wo mei~ Diandl drin lat.

(beide aus Sarleinsbach, Mühlviertel, ca. 1985 von eiem alten Wirt gehört.)
Wer weiß, was „Schwartling“ ist (–> rein damit ins Gästebuch) bzw. kennt noch das Wort „lat“?


Vortrag auf einemVolksmusikseminar in Krems vom 9. April 1997von Berthold Traxler, 15. April 1997; überarbeitet und ergänzt von Hermann Fritz, 2003.